Enquete von Bildungsbeauftragten von neun Kirchen und Religionsgemeinschaften zeigt Chancen und Grenzen von vermehrter Zusammenarbeit an den Schulen auf.
Der Religionsunterricht stand am 18. November im Fokus einer großen interdisziplinären und interreligiösen Enquete im Wiener Rathaus, zu der die Schulämter von neun Kirchen und Religionsgemeinschaften geladen hatten. Gemeinsam mit Stakeholdern aus den verschiedensten Bildungsbereichen wurde über die Rolle und Verantwortung des Religionsunterrichts im Hinblick auf Demokratiebildung diskutiert. Einen weiteren Schwerpunkt der Veranstaltung bildeten kooperative Unterrichtsformen, bei denen Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Bekenntnisse gemeinsam unterrichtet werden.
Vertreterinnen und Vertreter der Schulämter von Alevitischer Glaubensgemeinschaft, Altkatholischer Kirche, Buddhistischer Religionsgesellschaft, Katholischer Kirche (Erzdiözese Wien), Evangelischer Kirche, Freikirchen, Islamischer Glaubensgemeinschaft, Orthodoxer Kirche und Israelitischer Kultusgemeinde diskutierten mit Akteurinnen und Akteuren aus Bildungspolitik, pädagogischer Forschung und schulischer Praxis. Denn auch Schülerinnen und Schüler, Pädagoginnen und Pädagogen sowie Elternvertreterinnen und -vertreter nahmen an der Enquete, die im eigentlichen Wortsinn als Arbeitstagung angelegt war, teil.
Grußworte leiten Thema „Demokratiebildung“ ein
Die Veranstaltung trug den programmatischen Titel GEMEINSAM ZUKUNFT BILDEN und nahm in einem ersten inhaltlichen Fokus das große Thema „Demokratiebildung“ in den Blick. Dank der Unterstützung durch Bürgermeister Michael Ludwig fand die Enquete im traditionsreichen Wappensaal des Wiener Rathauses statt. Gestartet wurde mit kurzen Grußworten der veranstaltenden Kirchen und Glaubensgemeinschaften an die rund 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die — in unterschiedlichen Worten, aber inhaltlich übereinstimmend — den positiven Beitrag von Religion und Religionsunterricht für Weltoffenheit und Demokratie betonten. Auch Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr, amtsführender Wiener Stadtrat für Bildung, Jugend, Integration und Transparenz, war zur Enquete gekommen. Er verwies in seiner Begrüßung ebenso auf die wichtige Rolle, die der Religionsunterricht bei der demokratischen Wertevermittlung innehabe.
Durchaus kritische Fragestellungen behandelten im Anschluss die ersten beiden Impulsvorträge. Können Religionen zu Demokratie beitragen, wenn sie selbst nicht demokratisch verfasst sind, lautete etwa eine Ausgangsfrage. „Religionen können Orientierung geben, wie Menschen ein gutes Leben miteinander führen können“, erklärte dazu etwa Andrea Lehner-Hartmann, katholische Religionspädagogin und Dekanin der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Es gehe auch darum, für sich, für andere und die Mitwelt Verantwortung zu übernehmen. Der islamische Religionspädagoge Zekirija Sejdini vom Institut für Islamische Theologie und Religionspädagogik der Universität Innsbruck argumentierte ähnlich. „Religionen können zur Demokratie beitragen, indem sie Werte wie Respekt und Anerkennung Andersdenkender fördern“, sagte er. Beide verwiesen jedoch auch auf potenzielle antidemokratische Tendenzen und betonten die Verantwortung der verschiedenen Religionen zur „kritischen Selbstreflexion“ (Lehner-Hartmann).
Schulunterricht als „Schnittstelle“ von Staat und Religion
Religionspädagoge Sejdini wies in seinem Impulsbeitrag unter anderem auch darauf hin, dass Religionsunterricht an öffentlichen Schulen eine Schnittstelle zwischen Staat und Religionsgemeinschaften schaffe. Sehr oft werde unterschätzt, wie wichtig das sei. Diese Tatsache verpflichtet demnach Religionen zugleich, sich an allgemeinen Bildungszielen zu orientieren. Ein gebildeter Mensch müsse sich nicht unbedingt religiös verstehen, erklärte wiederum Religionspädagogin Andrea Lehner-Hartmann. Aber er müsse die Bereitschaft mitbringen, sich mit religiösen Fragen auseinanderzusetzen. Religiöse Bildung beschreibt sie auch als „Bereitstellung von Antwortversuchen“ auf zentrale Lebensfragen. Ob die Schülerinnen und Schüler ihre „Antworten mit Referenz auf eine bestimmte institutionelle Religionsgemeinschaft finden, oder einen wie auch immer gearteten individuellen Lebensglauben ausbilden, ist dabei offen zu halten“, so Lehner-Hartmann.
Eine Ergänzung aus der Praxis lieferten Direktorin Silvia Böck vom GRG Wien 21 sowie Lorenz Schmidt, Schüler der HTL Rennweg, der selbst den evangelischen Religionsunterricht besucht. Silvia Böck verwies zunächst auf die zunehmende logistische Herausforderung, der sich Schulen angesichts einer wachsenden gesellschaftlichen Pluralität bei der Organisation von Religionsunterricht gegenübersehen. Dennoch betonte auch sie, dass Religion Werte vermittle, die auch für eine Demokratie wichtig seien. „Schule kann einen Beitrag leisten zu religiöser Kompetenz und dem Umgang mit religiöser Vielfalt“, so Böck. „Ein idealer Religionsunterricht sollte die Schülerinnen und Schüler befähigen, sich auch mit anderen religiösen Überzeugungen auseinanderzusetzen.“ Lorenz Schmidt vertrat die Schülerperspektive, argumentierte dabei aber ähnlich wie seine drei Vorredner:innen. Eine Hauptaufgabe des Religionsunterrichts sieht er darin, Schülerinnen und Schülern ein „Grundverständnis und Basiswissen“ der verschiedenen Religionen vermitteln.
Kooperative Modelle: optimisTISCH und dk:RU
Zwei interreligiöse bzw. interkonfessionelle Initiativen leiteten das zweite Podium ein. Andreas Niedermayr vom Schulamt der Erzdiözese Wien und Amina Baghajati vom islamischen Schulamt stellten gemeinsam optimisTISCH vor. Im Rahmen dieses fach- und religionsübergreifenden Projektes setzte der konfessionelle Religionsunterricht ein Zeichen des Dialogs und der Solidarität durch „Tisch-Aktionen“, die das Miteinander über sprachliche, religiöse und kulturelle Grenzen hinweg in den Vordergrund stellten. Drei Pädagog:innen der katholischen Privatschule St. Christiana berichteten anschließend über ihre sehr positiven Erfahrungen mit dem Modell des sogenannten „dialogisch-konfessionellen Religionsunterrichts“, kurz dk:RU. Ioannis Männl, Irene Miller und
Ulrike Sychrovsky unterrichten bereits seit Jahren orthodoxe, evangelische und katholische Schülerinnen und Schüler erfolgreich gemeinsam in wechselnden Konstellationen.
Die anschließende Fachdiskussion versammelte drei Vertreter des wissenschaftlichen Diskurses auf den Podium: Robert Schelander, Vorstand des Instituts für Religionspädagogik der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Wien, verwies auf eine Schwierigkeit, die bei Diskussionen über den Religionsunterricht oft übersehen werde. Minderheiten-Religionen verfügten über weniger Ressourcen und stünden damit bei der Umsetzung ihres schulischen Religionsunterrichts oft vor besonderen Problemen. Ähnliches berichtete der alevitische Theologe und Religionspädagoge Erdal Kalayci von der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Niederösterreich. Auch er erzählte von organisatorischen und personellen Beschränkungen, begrüßte aber die Idee interkonfessioneller Begegnungen auf Augenhöhe. Der orthodoxe Theologe Ioan Moga von der Universität Wien schließlich erinnerte daran, dass auch innerhalb einer Religion etwa durch Migration und unterschiedliche kulturelle Hintergründe sehr heterogene Strukturen vorhanden sein können, die auch im einzelnen konfessionellen Religionsunterricht bedacht werden müssten.
Enquete als starkes Bekenntnis zum Religionsunterricht
Die rund 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Enquete waren keineswegs nur stille Rezipienten der diversen Impulsbeiträge. Im Anschluss an die beiden einleitenden Podien folgten jeweils intensive Diskussionsrunden in mehreren Kleingruppen zu den beiden Hauptthemen der Veranstaltung. Die zahlreichen Rückmeldungen und Ergebnisse der verschiedenen Gruppen wurden immer wieder — digital und analog, mündlich und schriftlich — abgefragt. Sie sollen als Grundlage der Weiterarbeit in den Schulämtern dienen und vor allem auch in die Weiterentwicklung kooperativer Formen von Religionsunterricht einfließen. Insgesamt war das Bekenntnis zum Religionsunterricht stark. Die abschließenden Schlussworte hatten einmal mehr die neun Kirchen und Religionsgesellschaften, bevor ganz im Sinne der Enquete zum gemeinsamen Ausklang gebeten wurde.
Moderiert wurde die Enquete von Christoph Riedl und Amila Čandić, Studierende der Rechtswissenschaften sowie der islamischen Theologie. Für die musikalische Begleitung, die — dem Anlass entsprechend — der Vielfalt huldigte, sorgte Nikola Zaric mit seinem Akkordeon. Harald Karrer hielt die vielen Wortmeldungen und Impulse in Bild und Text fest — er erstellte zur Veranstaltung ein inspirierendes und einprägsames Graphic Recording.
Bericht: Sabine Assmann / Foto: Erzdiözese Wien/Schönlaub